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11.4.2003

 

Als verberge sich im Nichts ein Schweben

Miss Lata, Rucksackberlinerin aus Spanien, macht Mode aus Müll. Für sie ist das kein Abfall, sondern Ausgangsmaterial einer ganz neuen Geschichte

von WALTRAUD SCHWAB

"Fräulein Blechdose" heißt sie. Die deutsche Übersetzung ihres Namens macht die Poesie zunichte, die diese Frau in den Alltag bringen will. Dann doch lieber auf die Berliner Querschnittssprache zurückgreifen: Vorhang auf für "Miss Lata". "Miss" - das englische Fräulein und "Lata" - das spanische Wort für Blech und für Dose. In der ersten Werkstatt, in der die Rucksackberlinerin aus der spanischen Provinz Teruel vor elf Jahren das Blechbearbeitungshandwerk lernte, wurde der Künstlername kreiert. Inspiriert von der Dose, mit der sie ihren Zopf zusammenhielt. Türkisches Tomatenpüree war darin. "Ich liebe deren rote Farbe. Nicht zu vergleichen mit einer Coca-Cola-Büchse." Niemals würde sich Miss Lata so eine ins Haar stecken. Schließlich geht es ihr um Schönheit, nicht um Werbung für internationale Konzerne.

Die Tomatenpüreebüchse ist zum Markenzeichen der Designerin geworden. Sie könne damit sogar schlafen, meint sie. Allerdings unterliegt das blecherne Miss-Lata-Label den Gesetzen der Jahreszeit. Im Winter sei es zu kalt, es auf dem Kopf zu tragen. Bei Regen staue sich das Wasser darin. Und bei Gewittern fürchtet sie, sich mit Blechdose im Haar zum Blitzableiter zu machen. Im Frühling, so wie jetzt, wird das Objekt jedoch in seiner ganzen Pracht präsentiert. Dazu trägt die Designerin ein Aprikosenmedaillon um den Hals, herausgeschnitten aus einer spanischen Saftbüchse. Ihre Handtasche wiederum war ehemals ein Fünf-Liter-Olivenöl-Kanister. Grüne Oliven auf schwarzem Grund zieren das gute Stück. "Extra Virgen" war die Pressung. Extra jungfräulich.

Miss Lata war in Berlin die erste Designerin, die Mode und Accessoires aus Wohlstandsmüll produzierte. "Recyclingmaterialien" nennt sie den Krempel liebevoll. Soll zeigen, dass sie ein Duz-Verhältnis zu all dem hat, was andere mit Vorliebe wegwerfen. Ihr Atelier im ehemals besetzten Haus an der Potsdamer Straße ist ein Paradies für jene Sammler, die den ideellen Wert eines Objekts seinem Marktwert vorziehen. In der geheimnisvollen Ordnung, die jedem Chaos zugrunde liegt, stapeln sich auf 30 Quadratmetern Kisten mit Telefonkarten, Joghurtbecherdeckeln, benutzten und getrockneten Teebeuteln, Plastikhandschuhen. Dazu kaputte Wäscheständer, leere Flaschenkartons, Kronkorken, alte Disketten, kaputte Regenschirme, Filmrollen, farbige Bänder, Baustellennetze, Kartoffelsäcke, Tetra-Paks. Alles sticht ins Auge. Besonders die Dosen. Die Motive darauf reichen von der Madonna mit Kind über Tempeltänzerinnen und Panoramen aus Zugfenstern bis hin zu fallenden Engeln. "Die schönsten Dosen gibt es in türkischen und arabischen Läden", sagt die Expertin. So viel steht fest: Abfall ist keine graue Masse, Abfall ist bunt.

Vor zwölf Jahren hat es Miss Lata, die genau genommen Chusa Lanzela García heißt, nach Berlin verschlagen. Sie ist im Winter in der Stadt angekommen; ausgesucht hat sie sich das nicht. "Es gibt einen Grund, für den gehen alle das größte Risiko ein." Für die Liebe etwa? "Ich sage nicht, dass es bei mir so war. Das ist nur eine Möglichkeit", antwortet sie. Trotzdem: Miss Lata steht für eine Erfolgsgeschichte im fremden Land. Als sie ankam, konnte sie kein Wort Deutsch. "Die Sprache war hart. Ist es immer noch", meint sie mit ihrem schweren Akzent, der sie zwingt, alle Vokale rasend schnell auszusprechen. Sie nimmt jeden Job an, den sie kriegen kann. Der Mangel an direkter Mitteilungsmöglichkeit und an Geld macht die gelernte medizinisch-technische Assistentin zu einer, die die Stadt durch Sehen begreift: "Wer fremd da steht, misst dem, was er entdeckt, seine eigene Bedeutung bei." Das Weggeworfene war für sie nicht mehr Abfall, sondern Ausgangsmaterial einer ganz neuen Geschichte. "Außerdem, gebastelt hab ich immer."

Die Blechdosentaschen sind ihr Einstieg in die Designerinnenexistenz. Präzis verarbeitet, mit aufklappbarem Deckel, innen ausgekleidet mit Taschensamt. Komplettiert werden sie mit Tragegriffen und Schnallen, die weggeworfenen Koffern entlehnt sind. Die Blechkanten der Dosentaschen werden von der Self-made-Frau mit weichem Leder beklebt. Wer das Objekt erwirbt, kauft Exzentrik und tut gleichzeitig etwas für die Umwelt. Design fürs Herz und für den Verstand. Auf so was steht die Berliner Seele.

Metall ist der Lieblingsabfall von Miss Lata. Zu den Taschen entwirft sie Haarspangen aus Kronkorken, Telefonkarten, Orangensaftdeckeln oder ausgeschnittenen Abbildungen von Dosen. Wie wärs mit der Aufschrift "Leberwurst"? Mondäne Berlinerinnen halten sich damit die Haare zusammen. Fantasie gepaart mit Witz und Perfektion. Aus gepressten Joghurtdeckeln werden unter Miss Latas Händen schwere Perlen für Halsketten, aus Thunfischdosen Armreifen. Zuerst in Form gehämmert, so dass Blechfalten entstehen, danach versilbert. Aus einer Möglichkeit werden viele.

Nicht zuletzt beginnt Miss Lata, Kleider aus Recycling-Material zu entwerfen. Kettenhemden aus Kronkorken, Busties aus den Innenseiten der Saftkartons, Röcke aus leeren CD-Hüllen, Overalls aus Baustellennetzen, Sakkos aus Leitz-Ordnern und Rüstungen aus Filmdosen. Ganze Kollektionen, mit denen sie avantgardistische Modenschauen bestückt, mit denen sie den Karneval der Kulturen bereichert, mit denen sie Schaufenster ausstaffiert und auf Partys auftritt. Manchmal verdient sie so ihr Geld.

Längst braucht die 39-jährige Autodidaktin den Abfall nicht mehr zu sammeln, ihre Freunde tun es für sie. In Cafeterias werden leere Kaffeebeutel für sie aufgehoben, in Restaurants die Korken, sogar die Kellner im KaDeWe wurden schon eingespannt: Die Verschlüsse eines teuren Champagners sind mit dem Porträt der Veuve Cliquot verziert. Mit Kunstharz in einen Twist-off-Deckel gegossen, umrundet von Spitze und buntem Tand wird sie zum Mittelpunkt eines barocken Medaillons, das jeder Maria-Theresia-Brosche Konkurrenz macht.

"Alles ist eine Frage der Leidenschaft", sagt Miss Lata, "obwohl es gute und schlechte Momente gibt, wie bei jeder Arbeit." Bei ihren Kleiderkollektionen lässt sie sich mitunter vom detailverliebten Überfluss der katholischen Kirche und ihren Heiligen inspirieren, auch von Frida Kahlo und dem surrealistischen Filmemacher Luis Buñuel. "Er ist in der gleichen vergessenen Provinz wie ich geboren", sagt sie und glaubt an eine Seelenverwandtschaft.

Ihre neueste neunzehnteilige Kollektion, die nun auf den Laufsteg geschickt wird, heißt "Berlin macht mich süchtig". Eine Hommage an die Stadt, "die wirklich nicht gut zu den Leuten ist". Trotzdem, sie zieht an wie ein Magnet. Auch Miss Lata ist hängen geblieben. "Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, immer zu bleiben." Transit ist das Stichwort. "Kann sein, dass der Transit ein ganzes Leben dauert." Leicht ist es, mit Miss Lata über den bösartigen Charme Berlins zu sprechen. Am Anfang hat ihr die Stadt nicht gefallen. Aber dann, nachdem jeder Mensch, den sie kennen lernte, ihr das Besondere auf eine andere Weise schilderte, hat sie Feuer gefangen. "Manchmal hält man es nicht mehr aus, schreit, ich muss weg. Kaum ist man weg, bekommt man Heimweh nach Berlin." Sie sagt nicht: "Kaum bin ich weg, bekomme ich Heimweh." Sie ist jetzt eine von vielen.

Die Berliner Brücken, die Hundescheiße, der Tiergarten nach der Love-Parade, der Berliner Beamte, Berlin als Staubsauger von Energie - zu solchen Themen hat sie Kostüme entworfen. Dazu natürlich die Jahreszeiten. Der kurze Herbst in warmem Rot und der in endlosem Grau nicht aufhören wollende Winter. "Den zu überstehen, das ist die Berlin-Probe", sagt Miss Lata. Wenn dann der Frühling ausbricht, "dann spürt man, dass sich etwas Tolles anbahnt. Der Sommer eben, vielfarbig, bunt, vor allem in Gelb und Blau, "Aber leichte Farben, fast Pastell, weil die Leute relaxt sind."

Der Höhepunkt ihrer neuen Kollektion heißt: "Wenn Berlin lacht". "Zum Beispiel an einem Sonntag", sagt Miss Lata. Sie hat dazu einen Hosenanzug mit weitem Beinschlag gefertigt. Aus leeren Zahnpastatuben. Ein bisschen Hippie- und Ich-bin-bei-mir-Look. Eigenwillig natürlich. Leicht. "Als verberge sich im Nichts ein Schweben", sagt sie. "Wenn Berlin lacht, das ist wunderbar. Dann liebe ich die Stadt."

Modenschau unter dem Motto "Berlin macht mich süchtig", 11. und 12. April, 22 Uhr, Spannwerk, Paul-Lincke-Ufer 20. Mit den Einnahmen wird das RestCycling Art Festival im Mai finanziert.
www.misslata.com
www.restcyclingart.com

taz Berlin lokal Nr. 7028 vom 11.4.2003, Seite 23, 285 Zeilen (Portrait), WALTRAUD SCHWAB